Bedarfsgerechte Wareneinsteuerung

Jahrhundertsommer, frühe Liefertermine, lange Laufzeiten, Daunenjacken im August - das sind Schlagworte im Thema bedarfsgerechte Wareneinsteuerung.
LINIE INTERNATIONAL hat sich diesem wichtigen Begriff genähert und in Experten-Gesprächen eruiert, wie der Fachhandel sie für sich nutzen und davon profitieren kann. Unser Fazit: Bedarfsgerechte Wareneinsteuerung ist ein komplexes Thema, dessen Potential noch lange nicht ausgeschöpft ist und das zu erstaunlich hohen Umsatzsteigerungen führen kann. Die richtige Ware zum richtigen Zeitpunkt ist mit kluger Vorausschau und Mut machbar - und bares Geld wert.

Es ist Juli. Draußen regnet es – drinnen im Wäscheladen hängen rote Sales-Schilder an der Bademode, die sich üppig auf den Ständern drängelt. Unsere fiktive Wäschefachhändlerin stöhnt: Das werden gesalzene Abschriften. Einen Monat später: Die Sonne lacht vom Himmel, die Temperaturen steigen, kein Ende des Jahrhundertsommers in Sicht. Dafür aber weiß unsere Wäsche-Fachhändlerin nicht mehr, wie sie die vielen Kundennachfragen bedienen soll: Die Regale sind leer, bei den Lieferanten gibt es nichts mehr nachzuordern. Wäsche-Experrin Gabriele Hobmaier kennt diese Situation.

Frau Hobmaier, ist das das Grundproblem der Wareneinsteuerung?
Genau. Es kommt oft viel zu früh Ware auf die Fläche, die ich monatelang nicht verkaufen kann. Das drückt die Zahlen – nichts dreht sich, mein Kapital ist gebunden. Wenn ich eine Wechselfläche habe, die ich schon im Februar für Bademode nehme, muss die bisher dort geführte Nachtwäsche schon viel zu früh rausreduziert werden. Das ist aber leider notwendig, denn schließlich habe ich nur eine Fläche, mit der ich interagieren kann. Ich habe den doppelten Schaden: Zu früh reduziert und dann Ware auf der Fläche, die sich noch nicht dreht. Es macht also unbedingt Sinn, bedarfsgerechter einzusteuern.

Warum machen wir das Prozedere mit?
Es scheint ganz so, dass das Saisondenken – F/S ist Januar bis Juni und H/W Juli bis Dezember – ganz fest in unserem Denken verhaftet ist. Eigentlich, wenn man mal ehrlich ist, stimmte das noch nie – aber es wurde von oben aufgedeckelt.
Auch die Hersteller lassen sich nicht davon abbringen, zu diesen festen Terminen zu liefern und die Händler darauf festzunageln. Es gibt nur einige wenige Hersteller, die sich bewegt haben und die Liefertermine anpassen. Diese haben oft Probleme, weil die Händler nicht von ihren althergebrachten Verhaltensweisen abrücken.

Wie finde Ich heraus, was in meinem Laden bedarfsgerecht ist?
Es gibt sicher Händler mit Schwerpunkt Premium, die mit den Saisons umgehen müssen. Aber das Gros der Händler muss sich bewusst machen, wann er seine Ware wirklich braucht. Oft steht die Anzahl der verkauften Artikel in keinem Verhältnis zu den lagernden Waren. Das sehe ich schnell, wenn ich Abverkauf und Wareneingänge gegenüber stelle. Das kann auch ein Händler, der keine Warenwirtschaft hat. Es geht darum, sich bewusst zu machen, was da passiert und die Hersteller mit meinem Verhalten dazu zu bringen, die Situation zu überdenken.
Die Händler müssen ein neues Selbstbewusstsein zeigen und die Angst überwinden, zu wenig Ware auf Lager zu haben, wenn der große Run kommt. Die Zeiten dieser großen Runs sind vorbei. Der Kunde kauft dann, wenn er Lust hat und von der Inszenierung verlockt wird. Aber wie soll ich eine volle Fläche inszenieren? Das geht einfach nicht.

Apropos inszenieren – das ist ja auch ein Thema, das in diesen Komplex hineinspielt?
Ja, natürlich. Bei 80 Prozent Stammkundenanteil ist es zwingen notwendig, die Flächen häufig zu aktualisieren. Wenn ich nur alle halbe Jahre zu den Saisonstarts einmal umräume, sehen die Kunden ein halbes Jahr nur dasselbe. Das Argument der Hersteller, dass der Kunde früh die Ware habe, zieht nicht mehr, das Kaufverhalten hat sich geändert. Statt dessen sitze ich auf Ware, die ich erst Monate später verkaufen kann.

Also mache ich mir bewusst, was ich wann brauche. Und dann?
Meist ist selbst das Wissen um den richtigen Zeitpunkt für die richtige Ware nutzlos, denn die Ware bekomme ich trotzdem nicht zu meinem Wunschtermin. Über 80 Prozent der Hersteller bieten wenig bedarfsgerechte Termine an. Versuchen Sie mal, einen dickeren Flanell im Januar zu bekommen. Das ist fast unmoglich. Bei Bademode ist es noch offensichtlicher. Wer kauft heute noch im März seinen Badeanzug?
Die Liefertermine sollten von Händlern und Herstellern überdacht werden, beide Seiten können voneinander lernen. Vielleicht würde es Sinn machen, mehrere kleine Kapseln anzubieten oder den Kunden ganz individuell bestimmen zu lassen, wann er welche Ware braucht. Natürlich ist das aufwendiger, aber es wirdbereits gemacht, weil es die Lage entspannt bei den Lieferanten.